75 Jahre Rio Reiser. Ausstellung Browse Gallery Berlin
14. September bis 12. Oktober 2025
1923 wählt der Künstler George Grosz „Ecce Homo“ – „Seht, der Mensch“ – als Titel für eine Mappe mit 100 Karikaturen, die die soziale und moralische Verkommenheit der Weimarer Gesellschaft entblößen sollen: der kapitalistische Kriegsgewinnler, der lüsterne Spießbürger, die ausgemergelte Hure, der korrupte Beamte.
Der Titel bezieht sich auf den Ausspruch, mit dem Pontius Pilatus nach dem Johannes Evangelium den gegeißelten Jesus vor der Kreuzigung dem Volk präsentierte. Über Jahrhunderte wurde „Ecce Homo“ zur Ikone christlicher Passions- und Heilsgeschichte. Hieronymus Bosch, Albrecht Dürer, Caravaggio und viele andere Künstler setzten das Motiv stets im Kontext von Leid, Schuld und Offenbarung um. Grosz bricht mit dieser Tradition und nutzt den Titel ironisch für eine sarkastische Anklage: Seht, was aus den Menschen geworden ist.
„Mein Name ist Mensch“
1971, rund 50 Jahre später, veröffentlichen Ton Steine Scherben auf ihrer ersten LP den Song „Mein Name ist Mensch“ von Rio Reiser. Auch er kann als humanistische, subversive Variation des Ecce Homo-Motivs gelesen werden. Grosz und Reiser verbindet der kritische Blick und politische Positionierung als Künstler.
Wo kam der Song her? Er trat laut Rio „einfach von selbst ans Tageslicht.“ Ans Tageslicht getreten, „muss er zuvor in der Nacht gewesen sein, in der Höhle, wo die schöpferischen Geister wohnen.“ (Hannes Eyber, Jens Johler: Rio Reiser. 100 Seiten, Reclam 2025)

Die Ausstellung gibt Einblick in diese „Black Box“ von Rios Schöpfungskraft. Sie zeigt Originalwerke und O-Töne, Fragmente seines kreativen Kosmos: Zeichnungen, Fotos, Notizen, Tagebuchaufzeichnungen und Interviewausschnitte. Wir sehen die Welt mit Rios Augen. Er blickt sozialen Realitäten direkt ins Auge – nicht distanziert, sondern mitfühlend, solidarisch,vor allem mit den besonders Verletzbaren – sicher auch aus der eigenen zerrissenen Identität, dem Erfahren von Verzweiflung und Ungerechtigkeit. Als Mensch und Künstler sucht er die Wahrhaftigkeit des Ausdrucks seines Wirklichkeitserlebens und seiner Träume – Orte der Sehnsucht und Zuflucht, zugleich Quelle für Veränderung. An ihr und an der Liebe hält er fest: Mensch, du hast die Wahl!
Wir sehen seine Bilder, kontrastiert und kontextualisiert mit Fotografien des urbanen Lebens in Berlin der 70er Jahre und mit Aufnahmen der Gegenwart. Zum 75. Geburtstag suchen wir die Begegnung mit dem wohl einflussreichsten Poeten deutschsprachiger Rockmusikgeschichte. Wir sehen alles im Heute mit seinen Augen und hören seine Stimme: Was machen wir daraus?
Öffnungszeiten: Di – So, 14 bis 19 Uhr
Ort: Browse Gallery, Bergmannstr. 5, 10961 Berlin, Hinterhof re
Eintritt: 4€, erm. 2€
Zur Browse Gallery » » https://browse.gallery
Zur Homepage von Ton Steine Scherben » » http://www.tonsteinescherben.de
